Zwar stellt die Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken im Reisepass einen Eingriff in die Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten dar, doch sind diese Maßnahmen gerechtfertigt, um die betrügerische Verwendung von Reisepässen zu verhindern.
So leitete der Gerichtshof der Europäischen Union am 17. Oktober 2013 die Pressemitteilung zu seinem Urteil zur Klage des Rechtsanwalts Michael Schwarz gegen die verpflichtende Aufnahme von Fingerabdrücken in Europäischen Reisepässen ein. Anfang desselben Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht eine ähnliche Verfassungsbeschwerde der Schriftstellerin Juli Zeh abgelehnt, weil deren Klage »nicht sachhaltig« genug war. Die Urteile stehen im Einklang mit der europäischen Entwicklung, die Nutzung automatisierter und breit vernetzter Identitätskontrollsysteme auszuweiten. Die letzte Entwicklung in diese Richtung sind die Gesetzentwürfe für die sogenannten Smart Borders, die ein Registered Traveller Programme (RTP) und ein Entry-/Exit-System (EES) umfassen. Sie ergänzen bereits bestehende Apparate wie das Visa-Informationssystem VIS, das Schengen-Informationssystem SIS II, die Vorgaben für biometrische Reisepässe in der EU oder Eurodac. Sämtliche der genannten Regelungen beziehen die Nutzung digital vergleichbarer Abbilder von Körpermerkmalen, biometrischen Mustern, ein: »Um eine zuverlässige Verifizierung und Identifizierung von Visumantragstellern zu ermöglichen, ist es notwendig, biometrische Daten im VIS zu verarbeiten«, heißt es beispielsweise in der Verordnung (EG) 767/2008 zum Visa-Informationssystem.
Die Selbstverständlichkeit dieser Formulierung relativiert sich angesichts der enormen Anstrengungen, die bei der Entwicklung biometrischer Technologien zur Herstellung dieser Zuverlässigkeit vonnöten sind. Die biometrischen Verfahren sind auf vielerlei Ebenen fehleranfällig. Immer wieder führen etwa Sensor- oder Umgebungsprobleme dazu, dass keine oder nur schlechte Aufnahmen physiologischer Merkmale möglich sind. Die systeminhärenten statistischen Fehler beim Mustervergleich müssen in aufwendigen Performanztests quantifiziert werden, um die verschiedenen genutzten Verfahren vergleichbar zu machen. Inkompatibilitäten gewechselter Systemkomponenten oder neuer Softwareversionen, die Alterung der Vergleichsmuster, die möglichen Überlistungen des Systems etwa mittels gefälschter Finger, die mögliche Kompromittierung seiner Speicher oder Datenübertragungswege sind weitere, nicht triviale Herausforderungen. Viele internationale Standards sind vonnöten. Die Biometrie bleibt demnach als Wachstumsbranche in Bewegung. Doch die Verbesserung und Stabilisierung der Sicherheit etwa von Identitätskontrollen durch Biometrie-Systeme ist dementsprechend fragwürdig. Auch wenn eine menschliche Zugangskontrolle, geprägt durch Vorurteile, Sympathien, spontane Entscheidungen, Stimmungen oder Unaufmerksamkeit, als unzuverlässiger gilt, ist hier immerhin noch eine Verhandlungssituation und persönliche Verantwortlichkeit gegeben.
In der elektronischen Tagungsdokumentation »Biometrische Identitäten und ihre Rolle in den Diskursen um Sicherheit und Grenzen« wird ein vielschichtiger Einblick in das Thema der Identitätsfeststellung, die Ursachen der wachsenden Bedeutung der Biometrie, der politisch-sozialen Konsequenzen und des technischen Umgangs mit ethischen Problemen gegeben. Aus dem Vorwort:
Der erste Text von Herbert Hrachovec ist grundlegender philosophischer Natur. Er verdeutlicht die Tragweite des allzu leichtfertig benutzten Begriffs der Identität und seine eigentümliche Verwendung in der Biometrie. Es folgt ein Vortragsmanuskript zweier
Migrationsforscher_innen, in dem die Verschmelzung von Körper und territorialer Grenze soziologisch am Beispiel eines Fingerabdruckidentifizierungssystems für Asylsuchende in der EU untersucht wird. Danach findet sich mit dem Transkript des Vortrags von Dominik Oepen eine vor allem technische Perspektive.
Die Auseinandersetzung mit biometrischer Identität dürfte inzwischen für alle eine gewisse Brisanz haben. Der eingangs zitierten Erklärung des Gerichtshofes der EU folgend, ist jede verdächtig, etwa »betrügerisch« Reisepässe zu verwenden und unkontrolliert mobil zu sein. Die Unterstellung des Betrugs ist systematisch und generalisiert – auch nur irgendwen auszuschließen von der totalen Erfassung würde zwangsläufig eine risikoreiche Sicherheitslücke darstellen.
Rassismus wird also durch die Maschinisierung von Grenzkontrollen keineswegs ausgeschlossen. Es gibt selbstverständlich Abstufungen: »Personen, die internationalen Schutz beantragen [… und] Personen, die beim illegalen Überschreiten der Außengrenzen der Union aufgegriffen wurden« (Eurodac VO), trifft es härter als die mit Visum Reisenden. Menschen mit legalem Aufenthaltstitel in Deutschland müssen ihre Fingerabdrücke zu seinem Erwerb abgeben, Deutsche können frei wählen. Und die jüngsten Debatten um die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien spiegeln ebenfalls das entsprechende Gefälle wieder.
Die Forderung nach der Einführung biometrischer Kontrollen geht einher mit einer manchmal beinahe irrational um sich greifenden Angst vor Bewegungsfreiheit und Kriminalität. Das Vokabular des Security Engineering, das bedrohliche Begriffe wie »Angreifer«/»attacker«, »Betrüger«/»impostor« oder »threats« als grundlegenden Bestandteil seiner Systembeschreibungen enthält, erscheint lediglich als einfach technisch neutrale Beschreibung für die zu behandelnden Störfaktoren eines Sicherheitssystems. So bemüht gerade die Technikerinnen und Ingenieurinnen sind, dafür zu sorgen, dass ihre Technik richtig funktioniert und auch ethischen Bedenken gerecht wird, so wenig machen sie deutlich, dass gerade die zugrundeliegende Weltsicht der Komplexität der Dinge nicht gerecht wird.