Wer sich auf technische Artefakte verlassen muss, weil Leib und Leben oder gar guter Kaffee davon abhängen, wird einen großen Bogen um smarte Technik schlagen. Das ist klug.
Wenn wir dem etymologischen Wörterbuch vertrauen können, entwickelte sich das gemeingermanische Adjektiv »dumm« vom althochdeutschen Wort tumb, was soviel wie »stumm, taub, töricht« bedeutete. Stumm sind moderne informationstechnische Systeme schon lange nicht mehr, Befehlsäußerungen des Nutzers (des Benutzten?) treffen auch nicht länger auf taube Mikrofone und schließlich diese neue Smartheit von Geräten — nein, dumm sind unsere Gadgets wirklich nicht mehr.
Bereits Alan Turing kritisierte die Entwicklung der elektronischen Computer, die immer mehr Operationen in ihrem Inneren durchführten, ohne dass vorher die zugrunde liegenden Probleme von Menschen »by thought« gelöst wurden. Turing sah als Mathematiker den Computer als etwas ziemlich dummes an, der jedoch stupide Rechnungen unglaublich schnell durchführen kann.[1]
Turing war es auch, der deutlich darauf hinwies, dass »Intelligenz« nicht zwingend zu korrekten Ergebnissen führt. Als Beispiel führt er die Schulzeit des jungen Gauß an.[2] Bei einer Stillarbeit bekamen er und seine Mitschüler eine stupide Rechenaufgabe gestellt (18+21+24+27…), die er nicht mechanisch durchführte, sondern mit Hilfe einer selbst ausgedachten Formel löste. Diese Formel gibt smart und vor allem sehr schnell das korrekte Ergebnis aus – aber nur, wenn die zu berechnenden Zahlen einer Regelmäßigkeit folgen (im Beispiel sind alle Zahlen Vielfache von 3). Wenn jedoch eine der Zahlen »aus der Reihe« springt, liefert die »smarte« Vorgehensweise ein falsches, die »dumme« mechanische Vorgehensweise jedoch das korrekte Ergebnis.
Bei informationstechnischen Systemen, die zuverlässig sein sollen – also korrekt arbeitend und möglichst robust – stellt jede smarte Rechenoperation ein Fehlerrisiko dar. Zu trauriger Berühmtheit kam vor zwanzig Jahren das Assistenzsystem des Lufthansa-Fluges 2904.[3] Die Piloten der Unglücksmaschine führten auf regennasser Landebahn ein automatisches Bremsmanöver durch. Das Fly-by-Wire-System war so programmiert, dass es erst bei Bodenkontakt die Räder abbremsen sollte. Aufgrund von Aquaplaning drehten sich die Räder so langsam, dass der »smarte« Bordcomputer »dachte«, die Maschine sei noch in der Luft. Die Piloten hatten keine Möglichkeit, manuell einzugreifen.
Wem das Beispiel zu sehr in der Vergangenheit liegt, dem soll mit einer Zukunftsvision geholfen werden. Wenn wir die Ankündigung von einem intelligenten Stromnetz mit ebenso smarten Messgeräten ernst nehmen, dann wird jeder Haushalt in Zukunft ein kleine Box besitzen, die Stromfresser dann anschaltet, wenn das smart grid wenig ausgelastet und der Strom demzufolge billiger ist. Doch nehmen wir einmal an (wie es Forscher am MIT getan haben[4]), jeder hätte so eine »smart meter«-Box: Dann würden alle Ladestationen, Geschirrspüler und andere nicht-zeitkritischen Geräte zur gleichen Zeit anspringen und so Spitzenlast erzeugen – anstatt für eine gleichmäßige Auslastung zu sorgen.
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Die Kritik in diesem Beitrag mag an die mit jedem Aufkommen neuer Technik lauter werdenden Mahnungen erinnern.[5] Es soll jedoch lediglich darauf hingewisen werden, dass auch »dumme« Technik einen berechtigten Platz im Leben des modernen Menschen besitzt. Von Ephraim Kishon über Douglas Adams bis Terry Pratchett warnten Satiriker vor allzu smarter Technik. Und sei es nur, weil sie einem gehörig auf die Nerven gehen können!
[2] Anekdote zitiert nach Andrew Hodges, Alan Turing: The Enigma (The Centenary Edition), Princeton University Press, 2012, S. 378.
[3] Seite »Lufthansa-Flug 2904«. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
[4] »The too-smart-for-its-own-good grid« ist die Ankündigung des Forschungspapiers (PDF) überschrieben.
[5] Siehe z. B. Platons Kritik an der »Erfindung der Buchstaben«, die doch nur das Vergessen herbeiführen durch »Vernachlässigung des Erinnerns, sofern sie nun im Vertrauen auf die Schrift von außen her mittelst fremder Zeichen, nicht von innen her aus sich selbst, das Erinnern schöpfen«. Platon, Phaidros, 475.