Alan Turing bewies 1936, dass nicht algorithmisch entschieden werden kann, ob ein Computerprogramm mit einer gegebenen Eingabe mit der Berechnung irgendwann fertig wird, also zu einem Endergebnis kommt. Dieses fundamentale Prinzip der theoretischen Informatik wird von Programmierern und vor allem deren Auftraggebern regelmäßig ignoriert, als sei es dadurch nicht mehr vorhanden. Ob Staatstrojaner, Facebook oder Betriebssysteme: Es kann insbesondere (in endlicher Zeit) nicht entschieden werden, ob bestimmte Berechnungen von der Software nicht vorgenommen werden. Das Vorhandensein von Funktionen einer Software kann faktisch festgestellt werden – die Abwesenheit nicht. »Bluescreens« nach Absturz des Betriebssystems, unberechtigte Zugriffe auf vorgeblich geschützte persönliche Dateien oder per Staatstrojaner ferngesteuerte Rechner sind eindrucksvolle Belege aus der Praxis für das von Turing formulierte theoretische Problem.
Die Universalität der heutigen Personal Computer bedeutet aber auch, dass auf der elektrotechnischen Ebene alle Bits gleich behandelt werden. Lautet eine programmierte Anweisung, aus einer gelesenen 0 eine 1 zu machen, so spielt es keine Rolle, wie diese 0 in den Speicher gekommen ist. Alle Bits sind gleich, so wie der Buchstabe »l« in Halt und in Problem mit dem gleichen Zeichen dargestellt wird. Geradezu absurd wirken daher die Forderungen vieler Rechteverwerter, Hersteller und Politiker nach der Einschränkung der Funktionalität von universellen Maschinen. Mit Hilfe einer Software(!) sollen »gute« Bits von »schlechten« Bits getrennt werden. Die Applikation aus dem iTunes-Store besteht aus »guten« Bits, die selbst geschriebene hingegen aus »schlechten« (die aber mit Hilfe von Apple gerne in »gute« umgewandelt werden können – entsprechende Bonität des Entwicklers vorausgesetzt).
Betrachten wir den Computer als Medium, erkennen wir in dem Angriff auf den universellen Computer nichts Geringeres als Zensur. Der Index der verbotenen Bücher wird um einen der verbotenen Programme erweitert, mit dem gleichen Ziel wie ehedem: der Erhaltung der Macht einer relativ kleinen Gruppierung. Diese neue digitale Unmündigkeit wird nur allzugern von dem Konsumenten angenommen, weil er nicht begriffen hat, dass die Erzählung vom Schlaraffenland eine zutiefst dystopische ist, zumindest für den homo faber (»und wer gern arbeit mit der hant, // dem verbeut mans schlauraffenlant«).
Das Verbot der Nutzung universeller Computer oder die Verweigerung der Kontrolle über die eigenen Maschinen schränkt nicht nur die persönliche Freiheit ein, was für eine liberale Gesellschaft schon schlimm genug ist; blicken wir mit dem verstorbenen Andreas Pfitzmann ein wenig in die Zukunft, bedeutet diese Einschränkung im Falle von medizinischen Implantaten mit Computerchip sogar eine erhebliche Bedrohung von Leib und Leben einer Person. Auf diesen Umstand wies auch Cory Doctorow in seinem Vortrag auf dem 28. Chaos Communication Congress hin:
»As a member of the Walkman generation, I have made peace with the fact that I will require a hearing aid long before I die, and of course, it won’t be a hearing aid, it will be a computer I put in my body. So when I get into a car – a computer I put my body into – with my hearing aid – a computer I put inside my body – I want to know that these technologies are not designed to keep secrets from me, and to prevent me from terminating processes on them that work against my interests.«
Cory Doctorow: The coming war on general computation. Vortrag auf dem 28C3, online unter: http://www.youtube.com/watch?v=HUEvRyemKSg
Die Überschrift dieses Blog-Eintrages will auf ironische Weise deutlich machen, dass niemand über den mathematischen Gesetzen steht. Jeder moderne Computer, und dazu zählen auch Smartphones, besitzt die Fähigkeiten einer universellen Turing-Maschine. Eine Einschränkung kann technisch-logisch nicht vorgenommen werden, ohne den Computer funktionsunfähig zu machen. Die Tatsache, dass es dennoch versucht wird, lässt tief blicken und zeugt sowohl von technischer Ignoranz wie von allmachtsphantastischer Arroganz. Ob diese Erkenntnis sich durchsetzen wird, kann leider nicht in endlicher Zeit entschieden werden.
Siehe auch
- Meredith L. Patterson: The Science of Insecurity. Vortrag auf dem 28C3.
- Jonathan Zittrain: Wir brauchen wütende Nerds.
- Interview mit Prof. Dr. Andreas Pfitzmann, online unter https://www.datenschutzzentrum.de/interviews/pfitzmann/
- The Turing Digital Archive, http://www.turingarchive.org. Hier insbesondere der berühmte Aufsatz »On Computational Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem«.